/ Pressemitteilung

Mehr Klarheit bei erblichem Darmkrebs

Bonner Forschende stufen federführend Gen-Varianten neu ein, einen großen Teil davon als gutartig

 

Bildunterschrift: Forschungsarbeit unter Federführung von Bonner Forschenden reduziert Gen-Varianten unklarer Signifikanz (VUS) bei erblichen Darmkrebs: (v. li.) Dr. Isabel Spier und Prof. Stefan Aretz, Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn (UKB) / Dr. Inka Väth

Bonn, 01. Oktober – Die genetische Sicherung der Verdachtsdiagnose „Erblicher Darmkrebs“ hat große Bedeutung für die medizinische Versorgung der betroffenen Familien. Aber viele der in den bekannten Genen identifizierten Varianten können bisher hinsichtlich ihrer ursächlichen Rolle bei der Tumorbildung noch nicht sicher eingeordnet werden. Unter Federführung des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und der Universität Bonn hat ein internationales Forscherteam bei einem nennenswerten Anteil unklarer Varianten deren medizinische Relevanz neu bewertet und somit auch deren Anzahl wesentlich reduziert. Die Studienergebnisse sind jetzt im renommierten Fachjournal „American Journal of Human Genetics“ veröffentlicht.

In Familien mit erblichen Tumorerkrankungen besteht ein hohes Risiko für das Auftreten bestimmter Krebserkrankungen wie zum Beispiel Darmkrebs oder Brustkrebs. Für viele häufig vorkommende erbliche Tumorsyndrome gibt es inzwischen sehr wirksame, intensive und früh beginnende Krebs-Früherkennungs-Programme und andere vorbeugende Maßnahmen. Die rechtzeitige Erkennung und sichere Diagnose einer erblichen Veranlagung ist deshalb für die betroffenen Familien äußerst wichtig.

Durch die zunehmend umfangreicheren genetischen Untersuchungen werden in den verantwortlichen Erbanlagen aber auch immer mehr genetische Varianten gefunden, deren ursächliche Bedeutung für die Tumorentstehung derzeit noch ungeklärt ist. Man spricht hier von Varianten unklarer Signifikanz (VUS). Dies hat zur Folge, dass es sich bei den in öffentlichen internationalen Datenbanken (insbesondere ClinVar) gelisteten Varianten inzwischen bei manchen Genen in über 50 Prozent der Varianten um eine VUS handelt. „Diese können nicht zur Diagnosestellung und auch nicht zur Testung gesunder Risikopersonen verwendet werden; andererseits erzeugen sie aber oft große Unsicherheit, da Träger einer VUS möglicherweise ein erhöhtes Tumorrisiko tragen“, sagt Co-Seniorautorin Dr. Isabel Spier vom Institut für Humangenetik.

Viele Gen-Varianten haben doch keine Relevanz für die Tumorbildung

Am Zentrum für erbliche Tumorerkrankungen des UKB beschäftigen sich Forschende seit Jahren mit der Identifizierung neuer genetischer Ursachen für erbliche Tumorerkrankungen. Zur Lösung der Probleme bei der Interpretation von VUS

wurden unter Führung des Instituts für Humangenetik spezielle Klassifikationskriterien zur besseren Beurteilung von Varianten im APC-Gen entwickelt. Erbliche genetische Veränderungen dieses Gens sind verantwortlich für die Familiäre adenomatöse Polyposis (FAP), einer der häufigsten Ursachen für den erblichen Darmkrebs beziehungsweise erbliche Polypen-Erkrankungen des Magendarmtrakts. Im Rahmen des Hereditary Colorectal Cancer / Polyposis Variant Curation Expert Panels (VCEP) arbeitet die Forschergruppe um Prof. Stefan Aretz hierzu mit einem internationalen und multidisziplinären Expertenteam zusammen, basierend auf einer Zusammenarbeit der International Society for Gastrointestinal Hereditary Tumours (InSiGHT) und der Clinical Genome Resource (ClinGen). „Die von uns entwickelten Gen-spezifischen Klassifikationskriterien erlaubten uns jetzt, einen deutlichen Anteil von VUS des APC-Gens in eine medizinisch relevante Kategorie zu reklassifizieren“, sagt Prof. Aretz, der auch Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Life & Health“ der Universität Bonn ist.

Das Forschungsteam bewertete dabei alle der insgesamt über 10.000 APC-Keimbahn-Varianten, die in den öffentlichen Datenbanken ClinVar und LOVD gelistet sind. Unter den Varianten mit einer anfänglichen Klassifizierung als gutartig (benigne) oder krankheitsursächlich (pathogen) blieben etwa 95 Prozent in ihrer jeweiligen ursprünglichen Kategorie. Im Gegensatz dazu wurden 41 Prozent der in ClinVar und 61 Prozent der in LOVD hinterlegten VUS in klinisch bedeutsame Klassen neu eingestuft, die überwiegende Mehrheit davon als gutartig. Dabei zeigte sich auch, dass ein umfangreiches „Data-Mining“, das heißt die aufwändige Suche nach allen weltweit verfügbaren genetischen und klinischen Informationen über eine genetische Variante, sehr effektiv zur besseren Klassifizierung beiträgt. Insgesamt wurde die Gesamtzahl der VUS um 37 Prozent reduziert. „Da wir einen großen Teil der VUS als harmlose Normvarianten bewerten konnten, werden weltweit alle Träger dieser Varianten entlastet“, sagt Co-Seniorautor Prof. Aretz, der die enge Zusammenarbeit mit der Erstautorin Dr. Xiaoyu Yin aus Melbourne in Australien während ihres sechsmonatigen Aufenthalts als Gastwissenschaftlerin am UKB betonen möchte. Die Studie demonstriert auch die Durchführbarkeit der Variantenklassifizierung in einem großen Datensatz, die zukünftig als verallgemeinerbares Modell auch zur Interpretation von Varianten anderer Gene dienen könnte.

Publikation: Xiaoyu Yin et al.: Large-scale application of ClinGen-InSiGHT APC-specific ACMG/AMP variant classification criteria leads to substantial reduction in VUS; American Journal of Human Genetics; DOI: https://doi.org/10.1016/j.ajhg.2024.09.002

 

Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn (UKB) / Dr. Inka Väth
 

Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Dr. Stefan Aretz
Institut für Humangenetik; Universitätsklinikum Bonn
Zentrum für erbliche Tumorerkrankungen
ERN GENTURIS, DRN ETS
TRA „Life & Health“, Universität Bonn
E-Mail: Stefan.Aretz(at)uni-bonn.de

Dr. Isabel Spier
Fachärztin für Humangenetik
Institut für Humangenetik; Universitätsklinikum Bonn
Zentrum für erbliche Tumorerkrankungen
ERN GENTURIS, DRN ETS
Tel.: +49 (0)228 287 51020
E-Mail: isabel.spier(at)uni-bonn.de

 

  


Das Centrum für Integrierte Onkologie – CIO Bonn ist das interdisziplinäre Krebszentrum des Universitätsklinikums Bonn. Unter seinem Dach arbeiten alle Kliniken und Institute am Universitätsklinikum zusammen, die sich mit der Diagnose, Behandlung und Erforschung aller onkologischen Erkrankungen befassen. Das CIO Bonn gehört zum bundesweiten Netzwerk ausgewählter Onkologischer Spitzenzentren der Deutschen Krebshilfe. 2018 wurde aus dem seit 2007 bestehenden CIO Köln Bonn mit den universitären Krebszentren aus Aachen, Köln und Düsseldorf das "Centrum für Integrierte Onkologie - CIO Aachen Bonn Köln Düsseldorf" gegründet. Gemeinsam gestaltet dieser Verbund die Krebsmedizin für rund 11 Millionen Menschen.

Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB werden pro Jahr über 480.000 Patient*innen betreut, es sind 8.800 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,5 Mrd. Euro. Neben den über 3.300 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr weitere 580 Frauen und Männer in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht im Wissenschafts-Ranking auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW, weist den vierthöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf und hatte 2020 als einziges der 35 deutschen Universitätsklinika einen Leistungszuwachs und die einzige positive Jahresbilanz aller Universitätsklinika in NRW.

 

 

Tipp: Gut über das CIO informiert

Abonnieren Sie die neuesten Nachrichten aus dem CIO - komplett oder nach Kategorie gefiltert - ganz einfach als RSS-Feed!